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(Von der Auftragsklärung zum) Zweck der Studie und zur Forschungsfrage…

Die Forschungsfrage stellt oft den Ausgangspunkt des Forschungsprozesses dar. In ihr verdichten und kristallisieren sich Sinn und Zweck des Forschungsvorhabens. Je klarer und präziser die Frage gefasst ist, umso einfacher gestalten sich die nachfolgenden Schritte – vor allem die Auswahl der Forschungsmethode und der zu beforschenden Subjekte, also der Stichprobe. Manchmal kann es aber auch sein, dass sich die Forschungsfrage erst im Verlauf des Forschungsvorhabens präzisieren lässt. In solch einem Fall kann mit einer groben Umreisung der Fragestellung begonnen werden. Für „Beginners“ empfiehlt sich aber, mit einer klaren, einfachen Fragestellung zu beginnen nach dem Motto: „small is beautiful“. Eine systemische Forschungsfrage sollte sich beispielsweise an den vier von uns vorläufig formulierten Grundorientierungen systemischen Forschens (Ochs & Schweitzer, 2009) ausrichten. Eine solche Forschungsfrage kann sein:

  • „Wie erlebt das Pflegepersonal die Interaktionen mit Patienten auf einer akutpsychiatrischen Station?“
    Diese Fragestellung enthält zum einen die systemische Beziehungs-Grundorientierung, zum anderen fokussiert sie auf das subjektive Erleben des Pflegepersonals, was darauf hinweißt, das möglicherweise eine phänomenologisch-qualitative Methodik angemessen erscheint.
  • „Unterscheiden sich die Eltern von Kindern und Jugendlichen mit primären Kopfschmerzen hinsichtlich ihrer Zufriedenheit in der Partnerschaft von Eltern mit Kindern und Jugendlichen ohne primäre Kopfschmerzen?“ (Ochs et al., 2004, S. 544)
    Diese Fragestellung enthält ebenfalls die systemische Beziehungs-Grundorientierung, zum anderen fokussiert sie auf Unterschiede zwischen zwei Gruppen hinsichtlich eines spezifischen Kriteriums, nämlich Zufriedenheit in der Partnerschaft der Eltern. Hier erscheint eine Untersuchung mit einem Fragebogen sinnvoll, der dieses Kriterium valide erfasst.
  • „Welche Ressourcen in der Herkunftsfamilie, den Pflegefamilien, den diese Familien umgebenden sozialen Milieus sowie der Pflegekinder selbst haben es ermöglicht, dass … günstigen Entwicklungen zustande kommen konnten?“ (Gehres & Hildenbrand, 2008, S. 102)
    Diese Fragestellung enthält die Ressourcen-Grundorientierung des systemischen Ansatzes und bezieht sich auf verschiedene soziale Kontexte. Hier könnten qualitative Auswertungen von Interviews sowie von verfügbaren Dokumenten sinnvoll sein, um retrospektiv Ressourcen für günstige Entwicklungen bei den Pflegekindern zu identifizieren bzw. zu rekonstruieren.
  • „Sind bei Gruppen(entwicklungs)prozessen Phasenübergänge zu erwarten, die mit der sprunghaft bzw. phasenhaft) sich vollziehenden sozialen Ausdifferenzierung einhergehen?“ (Tschacher & Brunner, 1995, S. 78)
    Dese Fragestellung bezieht sich auf Gruppenprozesse im Zeitverlauf; sie würde also zwei Bestimmungsmomente systemischer Forschung aufgreifen, nämlich die soziale Orientierung und die Fokussierung von Veränderungen von Systemdynamiken im Zeitverlauf. Es könnten also Instrumente in Frage kommen, die zum einen Gruppenstrukturen abbilden können (z.B. SYMLOG) und zum anderen Zeitverläufe abzubilden vermögen (wie Zeitreihenanalysen).

Eine Forschungsfrage zu formulieren und umzusetzen, ohne das Geflecht an möglichen Aufträgen, die inneren und äußeren „Auftragslagen“, zu berücksichtigen, ist vergleichbar damit, einfach drauflos zu therapieren, ohne zu bedenken, was der Patient/Klient, der überweisende Arzt, die Angehörigen wohl selbst gerne hätten – und irgendwann landet man bestenfalls im Niemandsland, und beide, Therapeut und Patient, sind im Grunde unzufrieden mit dem Verlauf und den Ergebnissen (siehe hierzu ausführlicher zum „Forschungsauftragskarussell“ weiter oben). Natürlich können und werden sich die unterschiedlichen Aufträge und Auftragslagen teils widersprechen, teils nur schwer unter einen Hut bringen lassen. Dann hilft, wie auch bei der Auftragsklärung im Kontext systemischen Arbeitens:

  • sich der unterschiedlichen und auch divergenten Aufträge bewusst werden
  • die Divergenz transparent machen und deutlich machen, wie man damit umgeht, warum man bestimmte Auftragsaspekte priorisiert und andere vernachlässigt

Im ungünstigsten Fall wird einem bewusst, dass das Forschungsprojekt einen „unmöglichen“ Auftrag darstellt; das mag im ersten Moment zwar ärgerlich sein, aber besser als wenn man dies erst feststellt, wenn man bereits sozusagen „mittendrin“ ist. Im günstigsten Fall ermöglicht Auftragssensibilität eine passgenauere Fragestellung und Forschungsherangehensweise, die ermöglicht, dass das Forschungsvorhaben sozusagen „gut flutscht“, viel Spaß macht und Resultate hervorbringt, die für alle Beteiligten als bedeutsam erlebt werden:

  • Wenn die Forschungsfrage lautet: „Wie hoch ist die Auftretenshäufigkeit kindlicher Migräne?“, dann forscht man an möglichen Aufträgen der Wissenschaft vorbei, denn die Prävalenz der kindlichen Migräne ist bereits sehr gut erforscht. Sie liegt bei ca. 10%.
  • Wenn man etwa auf die narrative Struktur von Tiefeninterviews mit Paaren mit einem Patienten mit Angststörungen fokussiert, der Geldgeber des Forschungsvorhabens jedoch an quantifizierbaren Daten zur Wirksamkeit systemischer Paartherapie bei Angststörungen interessiert ist, dann forscht man möglicherweise am Auftrag des Geldgebers vorbei
  • Wenn man eine Itemanalyse zur Konstruktion eines Fragebogens zur Erfassung psychopathologischen Verhaltens im Kontext der Jugendhilfe, sich aber rein gar nicht für Statistik begeistern kann, dann forscht man im Grunde am eigenen Auftrag vorbei.
  • Wenn ich z.B. lieber Interview durchführen anstatt Fragebögen mit statistischen Programmen auszuwerten, dann macht eine Forschungsfrage, wie nach dem Outcome von Beratung weniger Sinn, wenngleich auch das möglich ist, allerdings nicht in festen Zahlen.

Häufige Fehler bei der Formulierung einer Fragestellung (vgl. auch Schwarzer, 2001):

  • Die Fragestellung nicht als konkrete Frage formulieren, sondern dem Leser zumuten, die Fragestellung aus einem Wust von Text zu extrahieren und somit zu viel Raum für Interpretation lassen.
  • Zu viele Fragen aufwerfen; es ist nicht mehr erkennbar, auf welche sich die Antragstellenden in der Hauptsache konzentrieren wollen.
  • Die gewählte Fragestellung ist so umfassend oder allgemein, dass sie in einem einzigen Forschungsprojekt gar nicht beantwortet werden kann.

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