ein Gemeinschaftsprojekt von

Zum insgesamt achten Mal (nach 1998, 2004, 2006, 2008, 2010, 2012 und 2014),  zum zweiten Mal englischsprachig  (bereits 2014 als „European Systemic Research Conference 2014“) und zum ersten Mal als „International Conference“ auch über Europa hinaus beworben, fand die o.a. Tagung in der Neuen Universität in der Heidelberger Altstadt statt.

Struktur der Teilnehmerschaft: Die Konferenz wurde von  517 Teilnehmerinnen und Teilnehmern   besucht. Knapp 100 Teilnehmer*innen beteiligten sich aktiv als Referenten. Ca. 140 Teilnehmer kamen aus nicht deutschsprachigen europäischen Ländern, (besonders stark vertreten waren Belgien, Polen, Norwegen, Großbritannien, Italien und Griechenland),  ca. 30 aus der Volksrepublik China, ca. 20 aus Nordamerika, einzelne aus Australien und Südamerika. Somit kamen ca. 300 deutschsprechende Teilnehmer . Gut 300 Teilnehmer*innenn mit akademischem Abschluss (M.Sc., PH.D oder Professor*innen) standen 200 studentische Teilnehmer*iinnen gegenüber, von denen 100 bei der Tagungsorganisation mithalfen und dafür unentgeltlich teilnahmen.

Ziele der Tagung

Als Ziele der Tagung hatten wir im Antrag an die DFG 2015 vorab formuliert:

  1. Entstehung neuer europäischer und transkontinentaler Forschungskooperationen;
  2. Stärkung systemtheoretisch orientierter humanwissenschaftlicher Forschung an Hochschulen und in Forschungsförderprogrammen der beteiligten Länder;
  3. Tagungsband in englischer Sprache

Auf der Tagung brachten wir zu diesem Ziele systematisch führende Forscher auf Podien und in Workshops in Austausch miteinander, die vorher noch wenig Kontakt hatten; die längerfristigen  Effekte davon sind derzeit noch nicht abschätzbar. Unsere eigenen europäischen Forschungskontakte konnten durch die Tagung ausgebaut werden (Kooperation von Matthias Ochs mit Prof.  Zbynek Vybiral (Masaryk University Brno/CZ) im Rahmen  eines Forschungskolloquiums und eines geplanten  Promotionsprogramms; Kooperation von Maria Borcsa und Matthias Ochs mit Dr. Thierry Darnaud (l’Université Toulouse/FR) im Rahmen der Forschungs-Workshops und -Vorträgen auf der EFTA-CIM-Konferenz). Des Weiteren ist Produkt der Forschungstagung ein gemeinsamer Antrag von Prof. Dr. Beate Ditzen, Dr. Christina Hunger-Schoppe (Heidelberg) und Prof. Dr. Antonius Schneider (Allgemeinmedizin TU München) zu einer systemisch informierten „sprechenden Medizin“ im Rahmen des Innovationsfonds. Zwischen den amerikanischen Pionieren der emotionsfokussierten Therapie (Lesley  Greenberg, Volker Thomas) und Heidelberger Systemikern (Julika Zwack, Rüdiger Retzlaff) wurden anschließend gemeinsame Lehrtätigkeiten vereinbart.

Ein Tagungsband mit voraussichtlich 25 Beiträgen ist derzeit in der Redaktion. Er wird von Matthias Ochs, Maria Borcsa und Jochen Schweitzer unter dem Titel „International Perspectives on Systemic Research – Linking Research and Practice“ in der Springer Book Series der European Family Therapy Association (Eds. Maria Borcsa and Peter Stratton) 2019 erscheinen.

Außerdem wollten wir angesichts zunehmender Einkommensunterschiede weltweit und innerhalb von Gesellschaften eine „sozial gerechte Tagung“ durchführen, mit einer Teilnehmergebührenstaffelung, die keine Interessent*in abhalten würde. Der theoretisch niedrigste Teilnahmebeitrag (Studierende aus ökonomisch ärmerem Land, bei früher Anmeldung) betrug 20 Euro, die höchste Teilnehmergebühr (voll Berufstätige aus Nord-/West-/Mitteleuropa, USA oder Japan) betrug 360 Euro. Diese Zielsetzung konnte recht gut realisiert werden, wie an den ca. 200 Studierenden ersichtlich, viele auch aus nicht- deutschsprachigen Ländern . Viele der jüngeren, auch studentischen Teilnehmer*innen beschrieben als durch die Forschungstagung  ermutigt in ihren Forschungsideen und wissenschaftlichen Karriereplanungen. Mit einem erhöhten Anteil systemtheoretisch inspirierter Forschung auch in der Psychologie wird zu rechnen sein, auch angesichts der Diskussion in Deutschland um eine schulenübergreifende universitäre Psychotherapeutenausbildung und einer möglicherweise  für März 2019 zu erwartenden sozialrechtlichen Anerkennung systemischer Psychotherapie durch den GBA (Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen).

Was wurde aus unseren „relativ neueren Themenschwerpunkten“:

  1. Bodies and Relationships: Neurobiology in Couples. Hierzu diskutierten in einem Panel die Paartherapeutin Mona Fishbane, Chicago und die Psycho-Neuro-Endokrinologin Beate Ditzen, Heidelberg, unter Moderation der Sexualtherapeutin Angelika Eck. Mona Fishbane wird zu dem Tagungsband ein Kapitel beitragen
  2. Evidence based treatments (EBT) vs. evidence based practice (EBP): a controversy. Hierzu referierte mit Bruce Wampold (USA und Norwegen) einer der führenden Wirksamkeitsfaktorenforscher. Leider hatten Vertreter des derzeit dominierenden Paradigmas der EBT als mögliche Kontrahenten (angefragt waren Thomas Fydrich, Berlin und Jürgen Hoyer, Dresden) ihre Teilnahme wieder abgesagt. Eine systemisch ausgerichtete Evidence-Based Practice (EBP) hingegen war prominent vertreten mit Günter Schiepek (Österreich), Bill Pinsof (USA) und Terje Tilden (Norwegen).
  3. Linking practice, research and career development through PhD programs, awards, scholarships, journal politics. Hierzu tauschten sich Gail Simon und Charlotte Burke (UK), Sheila Mc Namee (USA) und Matthias Ochs (Fulda) über unterschiedliche Formate von PhD-Programmen mit hohem Anteil an „Practitioner Research“ aus. In einem großen Panel trafen sich die Herausgeber dreier englischsprachiger und vierer deutschsprachiger Zeitschriften und informierten über ihre unterschiedlichen Publikationsstrategien. Dabei kamen u.a. die Vor-und Nachteile von Impact-Faktoren deutlich zur Sprache. (Die Herausgeber*innen von Journal of Family Therapy (UK), Family Process (USA) , Australian and New Zealand Journal of Family Therapy werden einen gemeinsamen Artikel zum Tagungsband beitragen.
  4. Dialogue across conceptional borders: Systemic approaches in dialogue with … others. Dieser Programmpunkt gehörte zu den Highlights der Tagung.
  • Peter Fonagy und Eia Asen (beide Anna Freud Institute und Kings College, London) stellten sehr anschaulich vor, wie sie in der “Mentalization Based Family Therapy” in jahrelanger Kooperation psychoanalytische, bindungstheoretische und systemische Konzepte und Therapiepraktiken miteinander intelligent verknüpft haben.
  • Lesley Greenberg, Toronto, legte überzeugend dar, wie sich die ursprünglich gestalttherapeutisch inspirierte „emotionsfokussierte“ Arbeit mit primären und sekundären, funktionalen und dysfunktionalen Emotionen mit dem bekannten systemtherapeutischen Ansatz des Mental Research Institutes in Palo Alto verknüpfen lässt.
  • Mögliche Verknüpfungen von Achtsamkeitsbasierter Meditation und Systemischer Therapie wurden von Diane Gehart (Los Angeles) und Corina Aguilar Raab (Heidelberg) diskutiert. Diese drei Perspektiven sind mit eigenen Beiträgen im Tagungsband vertreten.
  1. Political Systems: Social (In)equality and Mental Health; Alternatives to Poverty; Violent Conflicts, Wars and Conflict Mediation. Dieses Thema kam weniger stark als geplant, zum Tragen, am deutlichsten in den Vorträgen von Michael Ungar (Halifax, Canada) über „Adolescent Resilience Worldwide“ und von Michal Shamai (Haifa, Israel) über “National and Collective Traumas”, letzterer Vortrag mit vielen Fallstudien aus Israel –Palästina und aus dem ehemaligen Jugoslawien.
  2. The challenge of the refugee movement for systemic practice in Europe. Hier vermittelte Renos Papadopoulos (Surrey, UK) vor allem provokant-irritierende erkenntnistheoretische Ideen zum Verhältnis zwischen “Fremden und Einheimischen”. Ein intensiveres Eintauchen in empirische Forschung fand in einem Forschungssymposium statt, wo Familientherapeut*innen etwa aus der Türkei von ihren Erfahrungen berichteten in „Auffanglagern“ mit flüchtenden Menschen aus Syrien berichteten.
  3. The Postmodern Organization: Fluid? Agile? Multirational? und
  4. Healthy Workplaces: How to survive the (post)modern jobs? Die organisationspychologische und organisationssoziologische Seite des Kongresses blieb in ihrem Umfang, deutlich hinter den psychotherapeutischen  Komponenten zurück, aber nicht in ihren Qualitäten. Besonders inspirierend fanden wir Joana Krizanits´(Wien) Rekonstruktion der theoretischen Wurzeln gegenwärtiger Organisationsberatung sowie ihr Konzept von „postheroic leadership“ in modernen Organisation. Bernd Schmid (Wiesloch) und Anandan Geethan (Chennai, Indien) beschrieben in einer Fallstudie Personalentwicklungsprozesse in einer südindischen „Lernenden Fabrik“. Über Konflikte und Emotionen in Familienunternehmen diskutierten Ethel Brundin (Kapstadt/ Jonköpping), Arist von Schlippe und Audris Muraitis (Witten), über seelische Gesundheit in der Arbeitswelt Harald Gündel (Ulm) mit Ulrike Bossmann und Julika Zwack (Heidelberg), über Digitalisierung Dagmar Wötzel (Erlangen) und Hüseyin Özdemir (Berlin), über Change Management Thomas Schumacher, St. Gallen und Oliver Haas, beide Herausgeber der Zeitschrift für Organisationsentwicklung (ZOE).

Weitere Themenschwerpunkte

Bei den auf dieser Tagung schon etwas traditionsreicheren Themen zeichneten sich vor allem folgende Fortschritte ab, und kam es auf dieser wie schon auf der vorherigen Tagung zu dichterer Kooperation der Protagonisten:

  1. Das „Real Time Monitoring“ von Therapieprozessen, also eine kontinuierliche Eingabe einiger wichtiger Daten in jeder Therapiesitzung, deren elektronische Auswertung und Rückmeldung an Therapeut und Patient binnen kürzester Zeit, macht große Fortschritte in Technik, Organisation und Darstellung. Darüber berichteten vor allem Bill Pinsof (Chicago), Günter Schiepek, (Salzburg), Terje Tilden und Kollegen (Norwegen) sowie Nora Wredenhagen-McDaniels (Siedelsbrunn).
  2. Die Erforschung von Synchronien im Therapieprozess, also von gleichzeitig ablaufenden Veränderungen von Körperhaltung, Mimik/ Gestik, Gedanken, Gefühlen und physiologischen Parametern (u.a. Hautwiderstand und Herzratenvariabilität) macht große Fortschritte. Federführend demonstrierten dies auf dem Kongress Wolfgang Tschacher/ Florian Ramsmeyer (Bern) und eine finnische Gruppe um Jaakko Seikkula (Yväskylä, Finnland).
  3. Europaweit arbeiten Kollegen gemeinsam an Metaanalysen zur Wirksamkeit systemischer Therapien (u.a. Aland Carr, Dublin, Martin Pinquart, Marburg, Kirsten v. Sydow, Hamburg, Rüdiger Retzlaff, Heidelberg, Markus Haun, Heidelberg) und an der Entwicklung eines europaweit einheitlichen Fragebogens SCORE zur Erfassung von Veränderungen in Familientherapien (federführend Peter Stratton, Leeds, und Alan Carr, Dublin)
  4. Bei anwendungsnahen klinischen Themen ging es vor allem die systemische Therapie bei Angststörungen (Rüdiger Retzlaff, Heidelberg, Olavi Lindfors, Helsinki, Christina Hunger-Schoppe, Heidelberg und Ulrike Willutzki, Witten)  sowie bei innerfamiliärer Gewalt ( Sandra Stith, USA,  Justine van Lawick und Margreet Visser, Niederlande) sowie das Behandlungssetting der Multifamilientherapie (Eia Asen, London, Zoe Geling, Belgien, Tom Jewell, UK, Ulrike Röttger, Magdeburg)

Pespektiven

Angesichts der herannahenden Berentung des Tagungsgründers (Jochen Schweitzer), und da jüngere als Tagungsleiter geeignete Kolleginnen und Kollegen entweder nicht in Heidelberg arbeiten oder derzeit in instabilen Übergangsphasen ihrer wissenschaftlichen Laufbahn stehen, wird eine nächste Tagung, obwohl allgemein gewünscht, voraussichtlich nicht wieder in Heidelberg stattfinden. Derzeit laufen Diskussionen, sie in einem anderen europäischen Land fortzuführen, die aber noch nicht „spruchreif“ sind.

Versuch einer Bilanz der Tagungen 1998 bis 2017

Die Tagungen, über viele Jahre deutschsprachig von 150 und später englischsprachig von 300 bzw. 500 Teilnehmern geprägt, waren von großer Lebendigkeit und sehr persönlichem Austausch getragen. Der Austausch zwischen Forschern und Praktikern gelang, was sich heute in einer stärkeren Präsenz von Forschungsthemen in den mitveranstaltenden Fachverbänden der Praktiker (EFTA, DGSF, SG) zeigt. Im Verlauf dieser Jahre gelang 2008 in Deutschland die Anerkennung der systemischen Therapie als evidenzbasiertem Psychotherapieverfahren, inzwischen stellte 2017 auch das IQWIG eine positive Befundlage fest. Dazu haben besonders die Tagungen 2004 und 2006 beigetragen. Parallel nahm auch die Publikation deutscher Forschungsbeiträge in englischsprachigem Zeitschriften zu, oft wurden die Autoren auf den Forschungstagungen dazu ermutigt. Viele Professorenstellen an Hochschulen für Angewandte Forschung, vereinzelt auch mit Promotionsberechtigung, wurden mit systemtheoretisch inspirierten Pädagogen, Sozialwissenschaftlern und Psychologen besetzt. An den Universitäten geschah das bislang noch nicht, auch in der Forschungs-Förderung durch die DFG (anders als bei VW-Stiftung oder BMBF) sind diese Themen bislang noch unterrepräsentiert. Hier könnte die Reform der Psychotherapeutenausbildung mit einem universitären Psychotherapiestudium künftig den systemischen Therapie- und Beratungsansätzen eine bessere Verankerung  bringen.

Dank an die Förderer

Unser Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Heidehofstiftung,  der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) und der Systemischen Gesellschaft (SG). Wenngleich über die Hälfte der Ausgaben dennoch aus Teilnehmergebühren bestritten wurden, so ermöglichten uns diese Förderungen doch  eine von vornherein einigermaßen gesicherte wirtschaftliche Durchführung der Tagung mit ihren „sozial gerechten Teilnahmegebühren“. Für uns als Veranstalter stellte die Tagung 2017 in ihren Ansprüchen und ihrer Komplexität eine sehr große Herausforderung dar, auf die wir am Ende aber mit großer Befriedigung zurückschauen.

Heidelberg, im April 2018

Jochen Schweitzer, Prof. Dr.        Matthias Ochs, Prof. Dr.             Antonia Drews, M.Sc.

Kongressleiter                               Kongressleiter                             Kongresssekretärin

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