Hat sich die Praxaeologie systemischer Psychotherapie bisher vor allem an den Leitbegriffen der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns (wie etwa Information, Kommunikation, Kontrolle, System, Umwelt, Komplexität, Beobachtung) orientiert, so legte nun aus der Synergetik kommend Günter Schiepek mit den acht sog. „generischen Prinzipien“ spezifische Prozessmerkmale für die Gestaltung selbstorganisierter Entwicklungen in Psychotherapie vor. Haken u. Schiepek (2006, S. 436) schreiben hierzu: „Auf der Grundlage dieser Prinzipien wird versucht die Befundlage der sogenannt unspezifischen Wirkfaktoren in der Psychotherapie kritisch zu rekapitulieren und im Sinne spezifischer Prozessmerkmale zu interpretieren.“
Die Formulierung der generischen Prinzipien stellt für die Konzeptualisierung systemischer Psychotherapie einen bedeutsamen Schritt voran dar. Bisher blieb allerdings manchmal unklar, was diese Prinzipien für die konkrete Praxis bedeuten können. Dies ändert sich nun mit dem vorliegenden Buch des Schweizer Psychotherapeuten Martin Rufer, der viele Jahre lang das Zentrum für systemische Therapie und Beratung in der Schweiz geleitet hat. Rufer hat jahrzehntelange Psychotherapie- und Beratungserfahrung auf dem Buckel, was fast jeder Zeile des Buches positiv anzumerken ist. Diese mehr als reichhaltige Praxiserfahrung nutzt er, um anhand von sechs ausführlichen Fallbeispielen, die den Kern des Buches darstellen, die acht generischen Prinzipien quasi „durchzudeklinieren“.
Solche Bücher sind neben den vielen nutzbringenden Erkenntnissen für die eigene Praxis deshalb so wichtig, weil sie verdeutlichen und veranschaulichen, warum systemische Psychotherapie als eigenständiges Psychotherapieverfahren mit ganz eigener „Epistemiologie“ und daraus abgeleiteten Praxaeologie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP nach §11 PsychThG) anerkannt wurde – und eben nicht nur, wie manchmal kolportiert wird, eine Setting- oder sozialarbeiterische Variante von Richtlinienpsychotherapie ist.
Matthias Ochs